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Das Gesetz des Stärkeren und seine Ausnahmen

batsan

Einzeller
Guten Tag,
ich mache es einmal kurz, mit der Biologie habe ich sehr wenig zu tun. Meine Interessen gelten anderen Wissenschaften und Künsten.
Ich recherchiere jedoch für ein Essay, welches ich schreibe und habe hierzu einige Fragen bezüglich des "Gesetzes des Stärkeren".

Gibt es bei jenem Gesetz Ausnahmen? Und ich spreche hier speziell von der Narungsaufnahme. Sprich, lassen bestimmte Tiere (außer uns Menschen) den Schwächeren den Vortritt? Sollte dieses Phänomen existieren, gibt es dann beispielsweise bei Affen unterschiedliche Ausprägungen? Sind einige Affen hilsbereiter als andere? Hier sei natürlich explizit von Beziehungen die Rede, die außerhalb des Familienverbandes stehen.
Weitergehend möchte ich wissen, ob eine primitive Form des Altruismus im Tierreich existiert? Im Zoo wurde mir berichtet, dass Elefantenjunge in ihrer Herde ältere Tiere ärgern und necken, eine behinderte Kuh jedoch verschonen. Dort verhalten sich die Jungen so, obwohl sie keinen Vorteil durch ihr Verhalten ziehen.

Ich danke für jegliche Antworten und Mühen im vorraus. Literaturhinweise sind ausdrücklich erwünscht.
 

Joffi

Moderator
Moderator
Ich habe gerade keine Zeit, da sehr ausführlich zu werden, aber vielleicht ein ganz wichtiger Hinweis: Es geht in der Evolution immer um den Vorteil für die gesamte Spezies! Den eigenen Vorteil zu suchen, ist nur eine Ableitung davon, denn mein eigener Vorteil gereicht ja nun oft auch zum Vorteil meiner Spezies, zumal bei Einzelgängern. Entsprechend ist soziales Zusammenleben, Futter teilen, Rücksicht und Hilfe für verletzte Artgenossen, sich selbst opfern um seine Brut zu retten und all diese scheinbar altruistischen Dinge absolut sinnvoll (im Sinne "gut für die Spezies"). Verschiedene Spezies haben da verschiedene Strategien entwickelt und es gibt jede Menge Beispiele sowohl für die "altruistischen" Verhalten als auch für das Gegenteil, Kannibalismus etwa.
Kurz: Das "Recht des Stärkeren" ist eine rein plakative, vielleicht sogar populärwissenschaftliche, Angelegenheit, die man sehr sehr vorsichtig deuten muss. Das ist KEIN "Naturgesetz" wie e=mc^2.
 

batsan

Einzeller
Das Recht des Stärkeren ist selbstverständlich kein Naturgesetz, aber elementare Psychologie, die sich auf alle Lebewesen anwenden lässt. Von dem Standpunkt aus sollte mein Beitrag verstanden werden.
Dein Beitrag war aber sehr sinnvoll, da ich ohne Vorwissen Schlüsse aus Verhaltensweisen gezogen habe, die du netterweise korrigiert hast.
Beste Grüße
Sebastian
 

mik

Administrator
Moderator
Joffi;7791 hat geschrieben:
Es geht in der Evolution immer um den Vorteil für die gesamte Spezies! Den eigenen Vorteil zu suchen, ist nur eine Ableitung davon, denn mein eigener Vorteil gereicht ja nun oft auch zum Vorteil meiner Spezies, zumal bei Einzelgängern. Entsprechend ist soziales Zusammenleben, Futter teilen, Rücksicht und Hilfe für verletzte Artgenossen, sich selbst opfern um seine Brut zu retten und all diese scheinbar altruistischen Dinge absolut sinnvoll (im Sinne "gut für die Spezies"). Verschiedene Spezies haben da verschiedene Strategien entwickelt und es gibt jede Menge Beispiele sowohl für die "altruistischen" Verhalten als auch für das Gegenteil, Kannibalismus

... es kommt ja eigentlich nicht vor, dass ich joffi widersprechen muss, in diesem fall tue ich es aber. dass lebewesen sich zum wohle der art verhalten, ist inzwischen eigentlich ad acta gelegt ... lebt nur leider immer noch in diesen alten naturfilmen im fernsehen. aus dieser falschen sichtweise resultierte auch, dass verhalten, das sich gegen die art richtete, als "krank" und "widernatürlich" bezeichnet wurde. die untersuchungen der soziobiologen haben kurzgefasst aber ergeben, dass sich jedes lebewesen so verhält, dass es möglichst viel seines erbguts in die nachfolgegeneration einbringt (sog. fitness). dies kann über direkte (eigene) nachkommen geschehen, aber auch durch unterstützung verwandter (mit denen man erbgut teilt). stehen die interessen eines individuums im widerspruch zu denen der art, wird das individuum sich immer für die eigenen interessen entscheiden - einfaches beispiel: ein löwe, der ein anderes männchen verdrängt, dessen weibchen übernimmt und alle nachkommen seines vorgängers tötet.
alle mir bekannten fälle von altruismus lassen sich in wirklichkeit als nützlich im sinne der steigerung der eigenen fitness deuten - echte, regelhafte fälle von altruismus sind faktisch nicht nachgewiesen. echter altruismus verstanden als: verzicht auf eigene fitness zugunsten anderer (was einen fitnessverlust darstellt). ausgeschlossen ist nicht, dass ein verhalten sowohl dem individuum nutzt als auch der art ... aber im zweifelsfall zählt das eigene interesse eben.

gruß

mik
 

Joffi

Moderator
Moderator
Ich lasse mir doch gern widersprechen, zumal von Dir ;) Ich gestehe gerne zu, dass Dein Punkt (also das im Grunde das "selfish gene") in meinem Beitrag sträflich vernachlässigt wurde (mea culpa) und unterstütze ihn gern. In der Tat ist Miks Beitrag rückblickend wesentlich besser als meiner. Es bleibt die Aussage, dass es Tiere gibt, die Schwächeren helfen etc.pp., der Mechanismus aber ist überwiegend wie von Mik beschrieben.
Zu meiner Ehrenrettung: In der Biologie ist noch nie eine einfache Erklärung die komplette Wahrheit gewesen :). So erklärt auch in diesem Fall das selfish gene nicht die komplette Bandbreite von sozialem Verhalten im Tierreich. Teilweise vielleicht, weil Verhaltensweisen mechnistisch gesehen nicht einfach als "Gen" vererbt werden.

So, Nachtrag nach einer Nacht schlafen. Sorry, batsan, wenn das nicht mehr viel mit Deiner Frage zu tun hat :) Aaaaalso, diese selfish gene Geschichte scheint mir nicht ausreichend zu sein für überaus komplexes Sozialverhalten. Dazu zwei Ausführungen:
1.) Wie bereits angedeutet, werden komplexere soziale Fähigkeiten nicht mehr als "wenn das, tu das" vererbt wie vielleicht Chemotaxie von nem Bakkie oder so. Sondern es ist eine neue Fähigkeit, oder eine neue Emotion, oder ein Drang oder eine Furcht, die dann im Zusammenhang mit dem bestehenden Repertoire einen großen Haufen neue Verhaltensweisen hervorbringt. Und nur das Mittel aller Folgen dieses Verhaltens sind ausschlaggebend für den Fitness-Vorteil oder -Verlust einer solchen Grundlage.
Beispiel A: Wir Menschen reagieren auf das Kindchen-Schema mit utschi-butschi-Geräuschen, Knuddelei und ähnlichem. Das ist die grundlegende "Fähigkeit". Daraus folgen enorme viele Verhaltensschemata, die zum einen unseren eigenen Kindern zu Gute kommt (hier entsteht der Fitness-Vorteil!), zum anderen aber auch anderen Kindern und sogar anderen Spezies! Letzteres führt zu einem leichten Fitnes-Verlust, aber auf der grundlegende Fähigkeit lastet die Summe (!) aller Fitness-Komponenten und die ist offensichtlich positiv. E
Beispiel B: Wir Menschen haben die Fähigkeit zur Empathie und versetzen uns darum ständig in andere Menschen hinein und fühlen, was sie fühlen. Das ist ein unbeschreibbar enormer Fitness-Vorteil in einer komplexen sozialen Struktur. Diese Fähigkeit führt aber nicht nur dazu, dass wir genau wissen, wann wir Silberrücken besser aus dem Weg gehen und was der andere unbedingt haben will (und ich so zu meinem Vorteil tauschen kann). Sie führt auch dazu, dass ich Mitleid empfinde mit allen primär negativen Fitness-Folgen. Erneut: Die Summe.

2.) Selektion und damit Evolution wirkt nicht nur auf Individuen, sondern auch auf Gruppen. Jedenfalls bei ein sozialen Gruppen lebenden Spezies. Damit kann das selfish gene unmöglich alles erklären, da es eine individual-Selektion vorraussetzt.
Beispiel: Die hypothetische Spezies Wulf lebe in Rudeln. Wenn ein Rudel zu groß wird, spaltet es sich in zwei Rudel auf. Jedes Rudel lebt sozial miteinander, stammt aber nicht nur vom Oberchef-Wulf ab. Jetzt entsteht da en Genotyp, der dazu führt, immer etwas von seiner Beute an alle abzugeben. Das eine Individuum mit diesem Genotyp hat rechnerisch einen gewissen Nachteil, aber es folgen zufällig ein paar gute Jahre und der Genotyp breitet sich per Drift im Rudel aus. Jetzt, wo alle im Rudel das tun, ist es für das Rudel im Vergleich zu allen anderen Rudeln ein immenser Vorteil, obwohl es ein Nachteil für das Indiviuum war! Und damit wird dieses Rudel erfolgreicher neue Rudel bilden und so weiter und so fort. Nun haben Schmarotzer aber ihre große Chance: Wer den Genotyp wieder verliert, wird von alles nur gefüttert, mein Beispiel kollabiert. Oder auch nicht, denn in einigen Rudeln hat sich ein Genotyp entwickelt, der zu äußersten Aggressionen führt gegen jeden, der nicht auf diese Weise kooperiert. Und so weiter und so fort, im Ergebnis komplexes soziales Verhalten, dass NICHT vom selfish gene und seiner Indivuuen-Ebene getragen wird.

Fazit: Ich betone noch einmal, dass Miks Beitrag wesentlich besser ist als meine erste Antwort da unten. Die von Mik aufgezeigten Mechanismen sind sehr, sehr bedeutend und können äußerst viel erklären. Der obige Text deckt einige Ausnahmen ab.
 
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